Barbara Balldini: "Im Wechsel erkannte ich mich selbst nicht wieder"
Erotik war stets die Triebfeder im Leben der Kabarettistin und Sexualpädagogin. Bis die Wechseljahre ihr Leben völlig auf den Kopf stellten.

Du meine Güte! Jetzt hat`s mich erwischt! Dabei war ich mir doch sowas von sicher: Ich gehöre zum privilegierten Drittel, das so gut wie gar nichts spürt – von den dummen Wechseljahren. Schließlich bin ich DIE Balldini. Die Frau, die auf der Bühne steht und fröhlich über Sex spricht. Die Frau, die Bücher schreibt, seit 30 Jahren mit demselben Mann zusammen ist und drei Kinder geboren hat. Die Frau, die in einem kitschig-schönen Landhaus lebt, mit großem Garten und einem fetten Kater. Die Frau, die sich austobt, sexuell und überhaupt. Was waren das für Zeiten, als mir die Männer mit offenem Mund hinterher starrten. Als ich mich vor Angeboten kaum retten konnte, als mich noch gierige Blicke verfolgten. Ich gebe zu, Monogamie war nie mein Konzept. Deshalb legte ich mir schon beizeiten einen Harem zu. Einen feinen kleinen Harem. Mit vier ausgewählten Männern, die mich regelmäßig in den Wahnsinn und sonst wohin trieben. Mein Mann war so klug und ließ mir alle Freiheiten. Im Wissen und der Sicherheit, dass ich dann bleiben würde. Im sicheren Hafen.
Im Kloster: Ich begriff früh, dass das Leben endlich ist
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Nun, man muss wissen, dass ich in einem Kloster aufgewachsen bin - seit der 6. Lebenswoche. Das Modell Mama - Papa bzw. Mann - Frau habe ich nie erlebt. Ergo wurde ich wie ein schneeweißes Blatt Papier mit 18 Jahren auf die Menschheit losgelassen und fand beide Geschlechter wunderbar anziehend und attraktiv. Dass es da nur DEN EINEN oder DIE EINE geben sollte, war mir damals schon schleierhaft. Weil aber das Kloster nicht nur ein Kloster, sondern gleichzeitig auch ein Altersheim war, war mir schon als Kind bewusst: Das Leben ist endlich! Wie oft habe ich Sterbenden die Hand gehalten und ihren letzten Worten gelauscht. Viele haben in ihren letzten Stunden bereut, wenn sie etwas nicht gesagt oder getan hatten. Da wusste ich schon als Kind: Das wird mir nicht passieren!.
Abenteuer und Exzesse: Saftig, wild, verrückt, verrucht
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Voilà. Das Leben lag vor mir und ich stürzte mich hinein. In Irrungen, Wirrungen, Abenteuer und sexuellen Exzesse. Saftig, wild, verrückt, verrucht und leidenschaftlich hemmungslos. Die Begeisterung der Männer (und Frauen) an meinem Körper, an meiner Art zu lieben, haben mich stark gemacht. Was blieb mir anderes übrig, als meine Leidenschaft zum Beruf zu machen? Mit 35 gründete ich eine Praxis für Sexualfragen und Sexualstörungen. Nicht, ohne mir vorher ein staatliches Diplom zu holen und mich noch einmal für drei Jahre für ein Studium einzuschreiben. Schnell wurde mir klar: Nicht alle Probleme meiner KlientInnen sind wegzureden. Ich musste körperlich ran. Es folgte eine Tantra-Ausbildung und eine Ausbildung zur Berührerin. Dann eröffnete ich meine Liebesschule. F**ken kann jeder, war meine Devise - Hier nicht! Hier lernen wir das LIEBEN. Die Hingabe, die Berührung, die Nähe, der schützende Raum für erotische Erfahrungen – das war mein tägliches Brot.
Ich landete auf der Bühne und mein Leben schien perfekt
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Ohne es zu geplant zu haben, landete ich mit 42 auf der Bühne. Eigentlich wollte ich nur einen Vortrag halten, damit die Menschheit sich entspannt. Eigentlich wollte ich nur fünf Mal auf die Bühne. Doch der Vortrag schlug ein wie eine Bombe.
Mittlerweile stehe ich seit 18 Jahren auf der Bühne und habe neun Programme geschrieben. Zum Thema Sex natürlich. Was sonst?! Haha! So stand ich dann da oben - mit High Heels und Netzstrümpfen und einem engen roten Kleid. Blonden Haaren, großen Brüsten. Das Publikum war bzw. ist begeistert. Nicht nur von mir, auch vom Inhalt. Gerade vom Inhalt. Endlich spricht jemand aus, was viele denken. Endlich werden Mythen entsorgt und Glaubenssätze verbannt. Die Jahre gingen dahin, die Kinder ebenso, die Praxis florierte und auch die Auftritte. Bücher kamen hinzu, und alles schien perfekt.
Fett, schwitzend, launisch, unerträglich – bin das noch ich?
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Bis es passierte: die Metamorphose, der Umbruch, die zweite Pubertät - die WECHSELJAHRE. Da soll mir mal einer sagen, man hätte schon alles erlebt. Verdammt, nein! In der Blüte meiner sexuellen Reife haut mir dieses Ding aber so eines vor den Latz - DAS hätte selbst ich mir in meinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. Dabei hat mich meine langjährige Therapeutin-Freundin, die immerhin 18 Jahre älter ist als ich, schon vor Jahren darauf aufmerksam gemacht: Warum sprichst du auf der Bühne eigentlich nie über den Wechsel!? Ich bitte dich, das interessiert doch keine Sau!, lautete meine Antwort. Und plötzlich stecke ich selbst mittendrin.
Es gibt Zeiten, da schaue ich mir von außen zu, wie unmöglich ich geworden bin. Fett, schwitzend, launisch, unerträglich. Mein Mann sagt: So warst du nie! Recht hat er. So war ich nie. Am meisten Sorgen macht mir die Gewichtszunahme. Das Gewebe, das der Schwerkraft folgt. Plötzlich brauche ich BH-Größe 100 F, früher war es 85 B.
Unter meinem Kinn hängt ein Lappen wie bei einem Truthahn. Ganz zu schweigen von den Winke-Armen. Schweißausbrüche aus dem Nichts heraus. Als würde man einen Ofen einschalten. Dazu diese Stimmungsschwankungen. Wie auf einer Achterbahn. Was soll das Ganze?! Doch nicht mir. Ich bin doch die BALLDINI. Mein Harem ist verwirrt: Sie rührt sich nicht mehr. Will sie denn keinen Sex mehr? Nein, will sie nicht. Zur Hölle damit.
Meine Wechseljahre: Nach elf Jahren bin ich endlich durch
OK, Baby, sag ich mir: Reiß dich zusammen! Du bist nicht die Erste, der das passiert! Ich laufe los, informiere mich, gehe zum Arzt, spreche mit Freundinnen. Mache eine Fastenkur und ernähre mich seither anders. Bewusster, gesünder. Höre mit dem Rauchen auf. Laufe viel in der frischen Luft umher. Ich nehme mir ein eigenes Schlafzimmer – wegen der Schweißausbrüche und den schlaflosen Nächten. Außerdem will man ja auch mal in Ruhe onanieren. Mein Mann sicher auch. Nehme ich an. Haha.
Jetzt nach elf Jahren bin ich durch. Mit 61 Jahren. Ich kann sagen: Das Leben ist schön! Ich bin kein Objekt der Begierde mehr, und das ist gut so. Ich bin im Garten, bin bei meinen Kindern, meinem Enkelkind, ich bin wild unterwegs auf dem Fahrrad und mit meinen Freundinnen. Ich stehe nach wie vor auf der Bühne und spreche dort jetzt auch über den Wechsel. Endlich. Die Frauen sagen mir, ich würde ihnen aus der Seele sprechen. Wie schön.
Jetzt ist Ernten angesagt – und in Dankbarkeit genießen
Meine Libido meldet sich langsam wieder, und ich bin neugierig, was noch kommt. Jetzt ist Ernten angesagt. Ernten und genießen. Meine Beerdigung schon unter Dach und Fach. Alles erledigt. Organisiert und bezahlt. Patientenverfügung und Testament verfasst. Wenn mich morgen der Tod ereilte, es wäre alles getan. Und ich könnte mit ruhigem Gewissen sagen: Was für ein sattes, geiles Leben. Bei Gott! Nie langweilig und immer geliebt. Alles ist gut. Da gibt es nichts außer Dankbarkeit. Als Buddhistin, die ich seit meinem 30. Lebensjahr bin, gibt es nichts zu fürchten: Ich glaube an Wiedergeburt – deshalb wird auf meinem Grab stehen: KOMME GLEICH WIEDER!
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