Manchmal reicht ein Blick oder eine spitze Bemerkung, die man eigentlich runterschlucken könnte: Wut, Reizbarkeit und emotionale Kurzschlüsse – als Netz-Phänomen gerne unter dem Schlagwort Perimenopause Rage zusammengefasst, gehören zu den wenig besprochenen, aber häufigen Begleiterscheinungen der Wechseljahre. Viele Frauen berichten, dass sie plötzlich explodieren oder überreagieren, ohne es zu wollen. Doch was steckt dahinter? Die Forschung zeigt, dass biologische, psychische und soziale Faktoren ineinandergreifen.
- Hormonelle Schwankungen
Östrogen wirkt im Gehirn auf Neurotransmitter wie Serotonin, Cortisol und Dopamin, die Stimmung, Impulskontrolle und emotionale Balance regulieren. Wenn der Östrogenspiegel abnimmt, kann dieses System instabil werden – die Folge sind Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und plötzliche Wutausbrüche. Eine Übersichtsstudie in 'Frontiers in Neuroendocrinology' aus 2023 beschreibt gut, wie Estradiol die Serotonin- und Dopaminaktivität beeinflusst und dass hormonelle Dysregulation emotionale Instabilität fördern kann, bis hin zur Depression.
- Schlafstörungen, Stress und nächtliches Schwitzen
Bis zu 80 % der Frauen in den Wechseljahren leiden unter 'vasomotorischen Symptomen' – also Hitzewallungen und Nachtschweiß. Diese stören den sowieso oft schon mürben Schlaf, und wer schlecht schläft, reagiert emotional schneller überfordert. Schon wenige Nächte mit unterbrochenem Schlaf erhöhen laut aktueller Forschung nachweislich die Reizbarkeit, da das Gehirn weniger Kapazität zur Emotionsregulation hat. Andere Studien deuten darauf hin, dass psychosozialer Stress einen besonders starken Einfluss auf das Ausmaß der der Wut hat – ob er jedoch'?stärker' als etwa Hitzewallungen ist, konnte bisher nicht eindeutig belegt werden.
- Kognitive Veränderungen (Brain Fog)
Viele Frauen berichten über Konzentrationsprobleme, Wortfindungsstörungen oder Gedächtnisaussetzer. Diese geistige Müdigkeit kann zu Frust und Wut führen, weil man sich weniger leistungsfähig fühlt. Stanford Medicine bestätigt, dass die Hormonumstellung vorübergehend neuronale Verbindungen verändert und die kognitive Flexibilität beeinflusst – was wiederum das emotionale Gleichgewicht stört.
Im Wechsel ist Schluss mit angelernter Anpassung
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Es ist also kein Zeichen von Schwäche, wenn man in den Wechseljahren stärker tobt und wütet – vielmehr handelt es sich, salopp formuliert, um eine Phase der Umprogrammierung im hormonellen System. Aber diese Phase ist nicht ohne. Wut ist ein intensives Gefühl – und wer das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren, erlebt das oft als erschreckend. Häufig folgt darauf Scham: weil man die beste Freundin mehr oder minder grundlos angefahren, den Partner unter Tränen angeschrien oder im Büro zu heftig reagiert hat.
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Aber was heißt schon zu? Viele Frauen sind ihr Leben lang darauf trainiert, emotional ausgeglichen, freundlich, diplomatisch zu sein – selbst dann, wenn sie verletzt sind. Nicht nur in dieser Arbeit wird gezeigt, dass Frauen häufig dazu tendieren, ihren Ärger in weniger antagonistische Ausdrucksformen zu regulieren als Männer – besonders wenn sie negative soziale Konsequenzen fürchten. Während männlicher Ärger als Durchsetzungsstärke gilt, wird weibliche Wut häufig pathologisiert. Die Mädchen der heutigen Generation Boomer und X lernten, dass Zorn oder Ärger unweiblich wirkt, dass Wut aneckt. Im Erwachsenenleben setzen sich diese Mechanismen fort: Man will nicht unangenehm auffallen, gemocht werden, Frieden halten.
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Doch im hormonellen Umbruch der Wechseljahre verändert sich nicht nur der Körper – auch das seelische Gleichgewicht verschiebt sich. Die biochemische Stabilität, die jahrzehntelang half, Emotionen zu dämpfen oder zu kanalisieren, gerät ins Wanken. Das Ergebnis: Emotionen brechen leichter durch. Gefühle, die zuvor unter der Oberfläche gehalten wurden – Frustration, Überforderung, unterdrückter Ärger – finden ihren Weg nach außen.
Die gute Nachricht: Wenn man lernt, diese Wut als Botschaft zu verstehen – statt sie zu bekämpfen oder sich für sie zu schämen – kann sie sogar zu einer Ressource werden: für mehr Klarheit, Abgrenzung und Selbstfürsorge.
Die Angriffslust sinkt mit steigendem Alter
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Noch eine gute Nachricht: Es ist (wahrscheinlich) nur eine Phase. Interessanterweise deuten neuere Studien darauf hin, dass Frauen ab der Lebensmitte langfristig an emotionaler Gelassenheit gewinnen – insbesondere bei der Regulierung von Wut. Auch wenn viele Frauen während der Wechseljahre besonders empfindlich gegenüber Stimmungsschwankungen sind, scheint mit zunehmendem Alter die Fähigkeit zu reifen, Ärger und Aggression besser zu steuern.
Laut Menopause Society ergab eine neue Analyse aus 2025, dass typische Anger Traits – etwa feindselige Einstellungen, aggressive Reaktionen und Angriffslust – mit steigendem Alter signifikant abnehmen. Die Studie zeigt, dass sowohl das chronologische Alter als auch der reproduktive Status (also die Wechseljahresphase) einen signifikanten Einfluss auf das Aggressionsprofil von Frauen haben. Auch die Seattle Midlife Women's Health Study fand heraus, dass mit steigendem Alter die Häufigkeit und Intensität von aggressiven Wutausbrüchen sank. Die Wut im Wechsel dauert also nicht ewig: Selbst wenn in der Übergangszeit wegen hormoneller Schwankungen eine erhöhte emotionale Reaktivität auftritt, besteht berechtigte Hoffnung, dass sich dies mit der Zeit mildert.
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